Deformationsmessung Braunkohlekraftwerk
Ausgestattet mit modernster Technik zur Braunkohlenverstromung hat das Kraftwerk Schwarze Pumpe den Sprung an die Spitze geschafft - erstmals wurde eine Braunkohle-Doppelblockanlage errichtet, deren Blöcke eine Leistung von je 800 Megawatt und einem Wirkungsgrad von 41% erreichen.
Eine spürbare Entlastung der Umwelt durch das neue Kraftwerk wird durch den Einsatz modernster Umwelt- und Kraftwerkstechnik ermöglicht. Staub- und Schwefelanteile werden aus dem Rauchgas nahezu vollständig entfernt, die Entstehung von Stickoxid weitgehend verhindert.
Damit wurden auch im internationalen Vergleich neue Maßstäbe erzielt. Verbesserte Leistungsfähigkeit und gesteigerte Wirkungsgrade sind aber nicht die einzigen Vorgaben, die an die Entwicklung des Kraftwerks gestellt wurden. Ebenso von Bedeutung sind hohe Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit, um den reibungslosen und wirtschaftlichen Betrieb des Kraftwerks zu sichern.
Dabei spielen seit eh und je für die Wirtschaftlichkeit bei der Energieerzeugung in einem Kraftwerk das Laufverhalten der Wellen der Turbosätze eine der wesentlichsten Rollen. Eventuelle Störgrößen würden zu Abweichungen von der Ausrichtlage und diese wiederum zu zusätzlichen Belastungen führen, in deren Folge durch spürbar höhere Schwingungen weitere Schäden eintreten könnten.
Aufgabenstellung
Gezielte Versuche und Beobachtungen über einen bestimmten Zeitraum sollten alle Einflüsse auf das Laufverhalten der Welle an einem der 800 Megawatt-Turbinenblöcke ermitteln. Die dafür erforderlichen Messungen hatten die Höhenbewegungen in mindestens drei der Traglager unter verschiedene Fahrweisen und Laständerungen der Turbosätze zu erfassen, u. a. bei Entlastungen auf Teillast bzw. Laststeigerung auf Volllast, bei Maschinenhaustemperaturänderungen, bei Heizleistungsauskopplungen ebenso bei Vakuumveränderungen der Kondensatoren. Die Messgenauigkeiten der zu ermittelnden Höhenmessungen sollten dabei ≤0,05 mm betragen, damit eine entsprechende technologische Bewertung bzw. deren Auswirkungen auf das Laufverhalten möglich sind.
Die nach Analyse der Messergebnisse abzuleitenden Erkenntnisse erlauben eine Optimierung der Fahrweise des Turbinensatzes und sind von fundamentaler Bedeutung für Folgeausrichtungen der Wellenstränge.
Messanordnung
Bei der Durchführung der Messaufgabe bestanden die eigentlichen Probleme in den Randbedingungen am Messort. Gemessene Temperaturen an den Achslagern betrugen bis zu 86°C. Am gesamten Turbinenaufbau waren erhebliche Schwingungen vorhanden. Weitere Schwierigkeiten bereiteten die starken elektromagnetischen Felder.
Für die automatische Überwachungsaufgabe zur Ermittlung der Setzungen, Hebungen und Vertikalverschiebungen und für eine Echtzeitauswertung am Turbinensatz kamen im wesentlichen nachstehende Messsysteme in Betracht:
- automatisierte Theodolite und Totalstationen mit einer Standardabweichung σ = 0,5 bis 1 mm
- motorisierte Digitalnivelliere mit einer Standardabweichung σ = 0,2 bis 0,4 mm
- hydrostatische Messsysteme mit einer Standardabweichung σ = 0,02 bis 0,05 mm
Bei einer Messung mit sogenannten offenen Systemen wie Theodolite und Digitalnivelliere wären die Ergebnisse maßgeblich durch die Bedingungen des Messraumes beeinflusst worden. Insbesondere Refraktionen, Luftturbulenzen und Temperaturunterschiede führen zu Zielstrahlversätzen, die als Korrekturen im Bereich der Messgenauigkeit nicht kompensiert werden können und damit die Messunsicherheit wesentlich beeinflusst hätten.
Der Einsatz von Neigungssensoren oder elektrischen Setzungs- und Wegesensoren hätte nur die Bestimmung von punktweisen Deformationsgrößen erlaubt. Ein Höhenunterschied wäre nicht direkt messbar gewesen. Ein räumlicher Bezug zu anderen Messpunkten hätte nicht hergestellt werden können. Nur die Anwendung von stationären automatisierten Schlauchwaagenmesssystemen mit einer Auflösung der Einzelmessung von 0,005 mm sicherte die geforderte Messgenauigkeit zur Bestimmung der Höhenunterschiede und ermöglichte eine kontinuierliche Messwertaufzeichnung.
Die Vorbereitungsphase erbrachte u. a. das Resultat, dass die in der FPM Holding GmbH vorhandene Version einer automatischen Schlauchwaage, die ASW 2000, so unter den herrschenden Randbedingungen nicht einsetzbar war. Es mussten wesentliche konstruktive Änderungen vorgenommen werden, um unter den ermittelten Temperaturen und der herrschenden Schwingungsbelastung messen zu können. Dies führte zu einer neuen Version eines automatischen Schlauchwaagenmesssystems, der ASW 101 N, welche auch unter den o. g. Randbedingungen sichere und genaue Messergebnisse liefert. Sie ermöglichte auch bei derartigen Schwingungs- und Temperaturbelastungen eine max. Messgenauigkeit im Bereich von 0,01 mm. Weitere zusätzliche Aufwände waren in Bezug der Messflüssigkeit zu erwarten. Unter den anliegenden Temperaturen neigte auch das als Messflüssigkeit verwendete Deionat zum Ausgasen. Blasenbildungen in dieser Größenordnung hätten zur Unbrauchbarkeit der Messergebnisse geführt. Abhilfe brachte letztendlich die Kühlung mittels Druckluft durch eine Art Luftspülung in einem Doppelschlauch. Diese Anwendung erlaubte den ununterbrochenen Betrieb des Systems über die volle Einsatzzeit. Die am Turbosatz bereits vorhandenen Messstellen erlaubten keine waagrechte Verlegung der Messschläuche. Diese Art der Verlegung ist aber zur Minimierung von Genauigkeitsverlusten unabdingbar. Um am Messobjekt die Schlauchbahnen waagrecht verlegen zu können, mussten die Messwertaufnehmer 300 mm höher gesetzt werden. Zur Überwindung dieser Anbauhöhe war zum einen ein zusätzliches Stativ erforderlich und zum anderen eine zusätzliche Korrektur der Wärmeausdehnung. Um präzise Messwerte zu erhalten, ist es erforderlich, dass alle Messwertaufnehmer auf die gleiche Dichte / Temperatur korrigiert werden. Diese Bezugstemperatur wird in der Software eingestellt. Um diese erwähnte Korrektur der Wärmeausdehnung durchzuführen, wurden bei jedem Messzyklus auch die Temperaturen des Stativs und der Schlauchwaage erfasst. Um Niveauunterschiede der Messflüssigkeit durch Luftdruckunterschiede auszuschließen, wurden alle Messwertaufnehmer zwecks Druckausgleich untereinander mit einem Luftschlauch verbunden.
Zur Ermittlung der Höhenverlagerungen und der Bewertung des Laufverhaltens des Turbinensatzes wurden die Messwertaufnehmer der ASW 101 N beidseitig an 3 Lagern installiert:
- rechts und links am vorderen Lager 1 des Hochdruckteiles (HDT)
- rechts und links am Lager 2 zwischen Hochdruck- und Mitteldruckteil (MDT)
- rechts und links am Lager 3 zwischen Mitteldruck und erstem Niederdruckteil (NDT)
Die erforderlichen Schlauchverbindungsstrassen zwischen den 6 Messwertaufnehmern wurden in ca. 1,5 m Höhe über dem Turbinentisch mit einer Höhenabweichung von ±1 cm installiert.
Nach einer ersten Bewertung der messtechnisch erfassten Höhenbewegungen erschien die Installation von Stützen- und Maschinenhaustemperaturmessstellen für die Interpretation der Messergebnisse sinnvoll. Der Messwertaufnehmer am Lager 1 links wurde als Bezugsmessstelle gewählt. Alle Messzyklen wurden relativ zu diesem Lager 1 links dargestellt. Der zeitliche Verlauf der Höhenbewegungen wurde relativ zu einem Bezugszyklus dargestellt. Dieser wurde unmittelbar nach Abschluss der Installation der Messanlage ermittelt. Die 6 installierten Messwertaufnehmer lieferten mit einer Auflösung von 0,005 mm ihre Ergebnisse. Die Dichtekorrektur arbeitete mit Temperatursensoren mit einer Genauigkeit von 0,1°C. Eine starke Beeinflussung der Messgenauigkeit resultierte aus den extremen Schwingungen am Messort. Die erreichten Werte lagen somit in ihrer Genauigkeit bei 0,025 mm. Alle Schlauchwaagen liefen zeitsynchron im 5- Minuten- Zyklus. Die 288 Messzyklen mit 1728 Einzelmessungen pro Tag erlaubten somit eine kontinuierliche Überwachung des Turbinensatzes während des Messzeitraumes.
Messergebnisse
Der gewählte Messzyklus von 5 Minuten wurde während der gesamten Messphase beibehalten. Es zeigten sich Bewegungsabläufe, die nur mit kontinuierlichen zeitsynchronen Messungen aller Messpunkte erfasst werden konnten. Nachgewiesen wurde u.a. eine starke Abhängigkeit der Bewegungen von der Außentemperatur und der Stopfbuchsfahrweise. Dabei wurden einige Messwertaufnehmer der ASW 101 N in einer vorher nicht voraussehbaren Art und Weise belastet, die teilweise oberhalb verkraftbarer Werte lagen.
Die vom Schlauchwaagenmesssystem ASW 101 N registrierten Höhenbewegungen wurden laufend mit dem aktuellen Laufruheniveau, besonders vom Hochdruck- und Mitteldruckteil, verglichen. Ebenso konnten Blockfahrweisen, die zu Schwingungsamplitudenänderungen führten, in ihrer Höhenbewegung bewertet werden. Darüber hinaus konnten Höhenbewegungen und deren Auswirkungen auf Laufruhe und Höhenverlagerungen betrachtet werden, die durch unterschiedliche Fahrweisen des Turbosatzes ermittelt wurden, so unter Lasteinsenkungen, unter technologisch bedingter Einsenkungen, unter Vakuumverschlechterungen, Heizleistungsänderungen und bei zielgerichteter Außerbetriebnahme der Maschinenhauslüftung . Von wesentlicher Bedeutung ist, dass alle Verläufe sich nachweislich reproduzierbar darstellten.
Das installierte Messsystem, die ASW 101 N, hat im harten Einsatz an einer 800 Megawatt- Turbine seine Eignung zur Ermittlung und Bewertung von Höhenbewegungen an Lagern bzw. Fundamenten von Turbosätzen unter Beweis gestellt. Dieses Messsystem mit seiner kontinuierlichen zeitsynchronen Erfassung vieler Messpunkte ist für diese Art von Untersuchungen am geeignetsten.
Literatur:
Hochmuth, R.-U.: Messbericht - Automatische kontinuierliche Deformationsmessung: 800 MW - Turbosatz im Bereich Lager 1 bis 3, Dresden 2000
Saretz, M.: Bewertung des Laufverhaltens des Turbosatzes A, KSP während der Höhenverlagerungsmessungen an den Traglagern 1 - 3, Jänschwalde 2000