Aktives Monitoring Berlin

Während der Bauarbeiten innerhalb des Verkehrskonzeptes Berlin ergab sich bei der Perleberger Brücke im Berliner Bezirk Tiergarten eine besondere Problemstellung. Nördlich des Lehrter Bahnhofes, Berlins zukünftige Drehscheibe im Bahnverkehr, war eine wichtige Berliner Straßenverbindung zwischen den Stadtteilen Moabit und Wedding, die Perleberger Brückenkonstruktion, zu erneuern.

Die Perleberger Brücke überspannt einen mehrgleisigen Bahngraben, dessen Gleise u. a. ganztägig für den Rangierverkehr des Containerumschlages am Lehrter Bahnhof genutzt werden. Besonders problematisch gestaltete sich das Bauvorhaben dadurch, dass zeitgleich zur geschilderten Baumaßnahme unter Verantwortung der Deutschen Bahn AG eine kreuzende Hochbahnstrecke, eine sogenannte „Fly-Over“, über genannter Brückenkonstruktion errichtet wurde. Da der gesamte Verkehr auf und unter der Brücke während der Bauphase nicht gesperrt werden konnte, wurde vorerst die eine Fahrbahnhälfte der alten Konstruktion für eine Aufrechterhaltung des Straßenverkehres erhalten. Für den Bau der neuen Brückenhälfte und für die neue Hochbahnstrecke mussten zeitgleich unmittelbar beidseitig neben einem Pfeilerfundament der alten Brückenhälfte Gründungen vorgenommen werden. Gewarnt durch Vorschädigungen bei Gründungsarbeiten für einen Pfeiler für den „Überflieger“ im Bereich des Widerlagers-Nord und dabei entstandenen Setzungen bis zu 6 cm war nunmehr auch die betreffende Stütze der Altkonstruktion massiv gefährdet. In diesem Bereich galt eine absolute Setzung von 15 mm als kritische Schranke, die eine Sperrung des gesamten Verkehrs auf und unter der Brücke zur Folge gehabt hätte. Eine permanente, aktive, messtechnische Überwachung des betreffenden Stützpfeilers war daher unabdingbar. Es galt ein System einzusetzen, das uneingeschränkt durch die zwei umfangreichen Neubaumaßnahmen, starken Rangierverkehr auf den Bahnanlagen und damit auch sehr ungünstigen örtlichen Gegebenheiten, absolute vertikale Veränderungen in kurzen Intervallen bestimmen kann.

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Bei Eintritt verschiedener Ereignisse bzw. beim Erreichen definierter Schwellwerte hatte, gestaffelt nach der Art der eingetretenen Ereignisse und deren Priorität, eine Meldung bzw. die Alarmierung zu erfolgen. Zum Empfang dieser Meldungen, z. B. für den erforderlichen Service, war für eine messtechnische Begleitung und im schlimmsten Fall für eine Sperrung des gesamten Bau- und Verkehrsgeschehens auf und unter der Brücke eine 24 Stunden Rufbereitschaft einzurichten.

Zuständig war hier primär die in Berlin für öffentliche Ingenieurbauwerke verantwortliche Vermessungsabteilung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Im Falle einer Überschreitung eines gesetzten Schrankenwertes war zusätzlich die örtliche Bauleitung und eine Stahlbaufirma zu informieren, damit mit Hilfe von installierten Hydraulikpressen und einer Abfangkonstruktion die Brücke wieder in ihre Ausgangslage gebracht werden konnte. Als visualisierte Warnmeldung war im Gefahrenbereich auf der Baustelle eine Blinkleuchte vorgesehen.

Bei der Auswahl der zur Verfügung stehenden Messsysteme traten bedingt durch die örtlichen Gegebenheiten mehr oder weniger große Randprobleme auf. So war z. B. für den Einsatz optischer Aufnahmeverfahren die dabei erforderliche gute und direkte Sicht, die notwendigen objektnahen, unbeeinflussbaren Standpunkte für die Instrumente nicht gegeben.

Weiterhin schränkten die vorhandenen physikalischen Randbedingungen wie z. B. Beugung und Refraktion und die dabei erreichbaren Genauigkeiten den Einsatz dieser geodätischen Instrumente zusätzlich ein. Das notwendige Messsystem musste eine schnelle Datenanalyse und klare Aussagen zu Veränderungen am Überwachungsobjekt ermöglichen, in deren Folge Meldungen bzw. Alarmierungen abzuleiten waren.

Aufgabenstellung

Während des Baugeschehens um und an der Brückenkonstruktion der Perleberger Brücke waren am Pfeilerfundament die Höhenbewegungen zu überwachen. Gemäss der anstehenden Überwachungsaufgabe war von der FPM Holding GmbH das Automatische Schlauchwaagenmesssystem ASW 2000 auf Mietbasis zu installieren. Die Messeinrichtung bestand aus 6 Messwertaufnehmern einschließlich PC, Interface, Laptop und Software. Der Messaufbau erfüllte während der gesamtem Bauzeit an der Brücke nachstehende Aufgaben:

  • stationäre kontinuierliche Deformationsmessung zur Bauwerksüberwachung
  • Erfassung der relativen Höhenänderungen der auserwählten Messpunkte
  • Synchrone Erfassung aller Messpunkte
  • Messgenauigkeit bei normalen Betriebszuständen ≤0,05 mm
  • PC-gesteuerte automatische Messungen in variierbaren Zyklen
  • Funktionsgewährung bei Betriebstemperaturen zwischen -20°C bis +55°C
  • Funktionsgewährung bei vollem Rangierbetrieb in unmittelbarer Nähe
  • Registrierung der Messdaten auf PC
  • Darstellung der Daten online auf Bildschirm
  • Tabelle der aktuellen Messdaten über Laptop abrufbar
  • Fernwartung mittels Laptop und PcAnywhere
  • automatische Alarmmeldung bei Überschreitung definierter Werte

Messanordnung

Unter den Gesichtspunkten Genauigkeit, Bezug, Verfügbarkeit und Messbereich bot sich zur Lösung der genannten Aufgaben das hydrostatische Nivellement mittels der ASW 2000 an. Durch ein PC-Interface war die Steuerung einer variablen Anzahl von Messwertgebern und die erforderliche Auswertung der Messdaten gegeben. Es wurden in Summe 6 Messwertaufnehmer installiert. Davon 4 Messwertaufnehmer direkt am Betonfundament des gefährdeten Stützpfeilers und zwei Messwertaufnehmer als feste Referenzmesspunkte ca. 80 m entfernt an einem sicheren bewegungsfreien Fundament eines Stellwerkes. Der PC wurde 300 m entfernt vom Brückenfundament in einem Bürocontainer installiert. Alle Messdaten wurden auf der Festplatte im PC im ASCII-Format gespeichert. Bei Messzyklen von ca. 3 min konnten Messwege bis zu 60 mm mit einer Genauigkeit von 0,01 mm angezeigt und registriert werden.

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Messwertaufnehmer am Stützpfeiler

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Referenzmesspunkt

Um die Bewegungen des Pfeilerfundamentes der Brücke bestimmen zu können, wurden die vier Messpunkte des Fundamentes mit einem der beiden festen Referenzmesspunkte verglichen. Sollte der erste verwendete Referenzmesspunkt durch technischen Defekt ausfallen, wurde programmseitig sofort der Vergleich mit den Werten des zweiten Referenzmesspunktes vorgenommen. Ein technischer Defekt an einem Referenzmesspunkt führte also nicht zum Ausfall des Gesamtsystems. Nach Ermittlung der vertikalen Bewegungen des Stützpfeilers durch Temperatur und Verkehrslast wurden die Schwellwerte für das Absetzen von Meldungen bestimmt und im Überwachungsprogramm eingegeben. Änderungen im Steuer- bzw. Überwachungsprogramm konnten nur über Passwörter erfolgen und wurden registriert. Das Überwachungsprogramm verglich in variabel einstellbaren Zeitzyklen die einzelnen Höhenbewegungen der Messwertaufnehmer mit dem vorgegeben Schwellwert.

Wenn an einem der Messpunkte eine Höhenänderung von ±10 mm eingetreten wäre, hätte automatisch die Alarmierung der Bereitschaftsdienste der erforderlichen Partner stattgefunden. Gleichzeitig wäre im Brückenbereich für die sofortige Einstellung aller Arbeiten und zur Beräumung der Baustelle eine optische Alarmierung in Funktion getreten. Um derartige Ereignisse zu umgehen, konnten die Bereitschaftsdienste jederzeit über Laptop ( variabel über analogen oder ISDN-Anschluss ) die Messwerte am Steuerrechner einsehen und bei Erfordernis notwendige Schritte zum hydraulischen Anheben der Brückenkonstruktion einleiten.

Weiterhin wichtig waren für den verantwortlichen Bereitschaftsdienst der Senatsverwaltung der Stadt Berlin die Informationen über den Betriebszustand des automatischen Überwachungssystems für evtl. erforderliche Wartungs- bzw. Instandsetzungsarbeiten. Daher erfolgten vom System darüber hinaus automatische Meldungen über den möglichen Ausfall eines Messwertaufnehmers. Ebenfalls automatisch erfolgte zur Gesamtüberwachung des Messsystems aller 30 min die Abgabe eines Betriebssignals an eine Wachgesellschaft, die beim Ausbleiben entsprechende Alarmierungen auszulösen hatte. Alle Signalabgaben bzw. Meldungen waren auch zur FPM Holding GmbH geschaltet und darüber hinaus protokolliert.

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Einzelner Messwertaufnehmer
am Brückenpfeiler

Die Ergebnisse dieses aktiven Monitoring bestätigten den Aufwand für Technik und Logistik. Im Zeitraum von 12 Wochen waren bei der Überwachung der Brückenkonstruktion im Rahmen der Rufbereitschaft diverse Einsätze erforderlich, jedoch ausschließlich um die Systembereitschaft zu gewährleisten.

Die Setzungen des Fundamentes betrugen maximal 2,3 mm und waren daher in verkehrstechnischer Hinsicht nicht sicherheitsrelevant. Mittels dem Automatischen Schlauchwaagenmesssystem ASW 2000, mit all seinen Komponenten der elektronischen Messtechnik, Datenübertragung und intelligenten Kommunikationslösung war das Baugeschehen an der Perleberger Brücke ständig unter sicherer Überwachung.

Literatur:

Tresp, T.: Bauwerksüberwachung in Berlin: Messtechnische Konzepte zur Kontrolle von Verkehrs- und Ingenieurbauten; Zeitschrift: „Der Vermessungsingenieur“ - Heft: 5 / 2000